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Who is who im deutschen Strafprozess?

Strafverteidiger, Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger

Autor: Rechtsanwältin Dr. Maria Miluscheva, Fachanwältin für Strafrecht


Haben Sie eine Vorladung von der Polizei bekommen oder gar eine Anklageschrift vom Gericht? Wird gegen Sie ein Vorwurf erhoben, der ungerecht ist oder wurde gegen Sie eine Strafe verhängt, die unangemessen ist? In diesen Situationen haben Sie das Recht, sich selbst zu verteidigen oder sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen. In bestimmten Fällen (dazu mehr unten) haben Sie Anspruch auf einen Rechtsanwalt auf Kosten der Staatskasse.

Strafverteidiger

Der Strafverteidiger ist ein Beteiligter im deutschen Strafprozess mit eigenen Rechten und Pflichten. Eine der wichtigsten Aufgaben des Strafverteidigers ist, die Interessen des Beschuldigten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten zu wahren. Er muss dafür Sorge tragen, dass das Strafverfahren in einer Art und Weise durchgeführt wird, die dem Gesetz entspricht. Außerdem kommt dem Verteidiger die Aufgabe zu, alle für den Beschuldigten günstigen Umstände herauszuarbeiten und sich für deren Beachtung durch die Strafverfolgungsbehörden einzusetzen. Der Verteidiger soll alle zulässigen Mittel ausschöpfen, die einer Entkräftung des Tatvorwurfs dienen. Das bedeutet, dass der Verteidiger darauf hinwirken muss, alle erreichbaren Beweismittel zur Entlastung des Beschuldigten in das Verfahren einzuführen.

Der gewissenshafte Strafverteidiger wird den Beschuldigten umfassend über seine Rechte beraten und informieren. Die umfassende rechtliche Beratung des Beschuldigten ist ein zentrales Element der Beistandspflicht des Verteidigers. Der Mandant darf und muss umfassend über seine Rechte aufgeklärt werden. Aus der Beistandspflicht des Verteidigers folgt nicht nur die Pflicht, die geltende Rechtslage sachlich zutreffend darzulegen, sondern auch die Pflicht, darauf hinzuwirken, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsziele bestmöglich erreichen kann.

In der Praxis wird der Bürger oft mit einer Vorladung der Polizei konfrontiert, wo der strafrechtliche Vorwurf kurz genannt ist. Eine effektive Strafverteidigung setzt jedoch voraus, dass der Beschuldigte den gegen ihn erhobenen Vorwurf in tatsächlicher Hinsicht kennt. Der Strafverteidiger kann in die Ermittlungserkenntnisse der Staatsanwaltschaft Einsicht erhalten und seinen Mandanten über die Einzelheiten der Beschuldigung informieren. Der Verteidiger ist bereits aus seinem Mandat verpflichtet und entsprechend berechtigt, dem Beschuldigten seine Kenntnisse über den Sachstand erschöpfend zu vermitteln. Dies betrifft Erkenntnisse, die der Verteidiger im Rahmen der Kommunikation mit anderen Verfahrensbeteiligten oder durch die Anwesenheit bei Untersuchungshandlungen gewonnen hat.

In jeder Lage des laufenden Strafverfahrens hat der Strafverteidiger die Möglichkeit, durch eigene Ermittlungen, Erklärungen, Stellungnahmen und Anträge die Interessen seines Mandanten durchzusetzen.

Im deutschen Strafprozess gibt es den Wahlverteidiger und den Pflichtverteidiger.

Wahlverteidiger

Der Beschuldigte hat das Recht, sich in einem Strafverfahren von dem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Als Wahlverteidiger kann somit der Rechtsanwalt bezeichnet werden, der von dem Beschuldigten unter allen zugelassenen Rechtsanwälten ausgewählt wurde, um seine Interessen zu vertreten. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nicht übersteigen. In Deutschland gibt es die Möglichkeit der Spezialisierung, d. h. dass bestimmte Rechtsanwälte ausschließlich oder überwiegend in Strafsachen tätig sind. Die Rechtsanwaltskammern verleihen den Titel Fachanwalt für Strafrecht, wenn ein Rechtsanwalt nachweist, dass er aufgrund seiner Erfahrungen und Kenntnisse für die Tätigkeit auf diesem Gebiet besonders befähigt ist. In der Praxis werden meistens Fachanwälte für Strafsachen zum Wahlverteidiger gewählt.

Pflichtverteidiger

Als Pflichtverteidiger wird der Rechtsanwalt bezeichnet, der dem Beschuldigten vom Gericht bestellt wird. Die Gebühren für seine Tätigkeit werden zuerst von der Staatskasse übernommen und im Falle einer Verurteilung dem Beschuldigten auferlegt. Nach h. M. hat der gerichtlich bestellte Verteidiger den gleichen Status und die gleichen prozessualen Befugnisse wie der vom Beschuldigten gewählte Verteidiger. Der Beschuldigte kann grundsätzlich selber entscheiden, welcher Rechtsanwalt ihm als Pflichtverteidiger beigeordnet wird. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass sich der Beschuldigte frühzeitig für einen Rechtsanwalt entscheidet und diesen dem Gericht namentlich benennt. Anderenfalls wird in Fällen der notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten einen Verteidiger bestellt, der vom Gericht auserwählt wurde.

Das Gesetz sieht die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, wenn

  1. die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
  2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
  3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
  4. der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
  5. der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
  6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
  7. zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
  8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
  9. dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
  10. bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
  11. ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

Neben den gesetzlich normierten Fällen wurden in der Rechtsprechung weitere Konstellationen entwickelt, in denen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für notwendig erachtet wird. Wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, was im Einzelfall beurteilt wird, kann ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Außerdem kann ein Fall der notwendigen Verteidigung bejaht werden, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

In jeder Lage des Strafverfahrens lohnt es sich, fachkundigen Rat einzuholen und sich die verschiedenen Möglichkeiten der Verteidigung erklären zu lassen.