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Unfallflucht

Autoren: Rechtsanwältin Dr. Maria Miluscheva, Fachanwältin für Strafrecht und Dilyana Chirpanlieva, Studentin der Rechtswissenschaften

Nach dem deutschen Strafprozessrecht ist niemand verpflichtet, sich selbst zu belasten. Jeder Beschuldigte hat das Recht zu schweigen und zu dem erhobenen strafrechtlichen Vorwurf nichts zu sagen. Dieses Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung ist im Völkerrecht verankert und gilt als grundrechtsgleiches Recht. Trotzdem existiert im deutschen Strafrecht der unikale für die europäische Rechtsordnung § 142 StGB, der das unerlaubte Entfernen vom Unfallort unter Strafe stellt. Im Vordergrund als Schutzgut steht nicht die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs, sondern die erleichterte Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche des Geschädigten.

Wann ist Unfallflucht gegeben?

Zunächst soll es zu einem Unfall im Straßenverkehr gekommen sein. Unfall ist jedes plötzliche Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, in welchem sich ein verkehrstypisches Schadensrisiko realisiert. Zum öffentlichen Verkehr zählen alle Fuß- und Radwege sowie private Parkplätze, wenn diese der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ausgeschlossen sind dagegen Privatgrundstücke oder Tiefgaragen mit fest vermieteten Plätzen. Unter Unfall ist nicht nur ein Zusammenprall zu verstehen, auch die Beschädigung eines fremden Fahrzeugs beim Beladen oder Einparken ist tatbestandsmäßig.

Die Straftat können nur Unfallbeteiligte begehen, d. h. Personen, die zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben könnten. Eine Strafbarkeit ist demzufolge nicht ausgeschlossen, wenn es sich später herausstellt, dass der konkrete Beteiligte nicht für den Unfall verantwortlich war, dieser aber zum Zeitpunkt der Unfallflucht unter Verdacht stand. Unfallbeteiligte können auch Mitfahrer, Fußgänger u. a. sein, die nicht unmittelbar das Unglücksereignis herbeigeführt haben, aber eine ursächliche Gefahrenlage geschaffen haben. Diese sollten sich jedoch am Unfallort befinden. Jemand, der einem alkoholisierten Menschen sein Fahrzeug überlassen hat, ist kein Unfallbeteiligter.

Weiterhin müsste sich der Täter vom Unfallort entfernt haben, ohne zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht zu haben. Der Radius des Unfallorts hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Kann das Entfernen berechtigt sein?

Dass Sich-Entfernen kann entschuldigt und berechtigt sein, beispielsweise wenn der Täter verletzte Mitfahrer zum Krankenhaus bringt oder selbst medizinische Hilfe braucht. Entschuldigt ist der Unfallbeteiligte nicht, der sich entfernt, um eine Verspätung am Arbeitsplatz zu vermeiden.

Die Feststellungen sollten jedoch unverzüglich nachträglich ermöglicht werden, etwa durch Mitteilung an die Berechtigten oder an eine nahe gelegene Polizeidienststelle, dass die betreffende Person am Unfall beteiligt gewesen ist. Angegeben werden müssen die Anschrift, der Aufenthalt, das Kennzeichen und der Standort des Fahrzeugs.

Was machen, wenn keine feststellungsbereiten Personen anwesend sind?

Wenn vor Ort keine feststellungsbereite Personen (auch unbeteiligte Dritte) anwesend sind, ist der Täter verpflichtet, eine angemessene Zeit abzuwarten. Als ausreichend gelten 10 Minuten bei geringfügigen Schäden, bei Verletzung oder Tötung einer Person ist die angemessene Wartefrist natürlich länger.

Was passiert, wenn ich vom Unfallort fliehe, später aber die Feststellung ermögliche?

Es ist verständlich, dass ein Unfall unerwartet und schockierend für alle Beteiligten sein könnte. Ein Unfall kann Angst einjagen, weshalb das fluchtartige Verschwinden von der Unfallstelle als natürliche Reaktion aufgefasst werden kann. Der Gesetzgeber sieht eine Milderung der Strafe oder sogar Absehen von der Verfolgung vor, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von 24 Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs (bei einem Unfall auf einem Parkplatz möglich, nicht aber auf der Autobahn) freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht. Maßgeblich ist auch die Höhe des Schadens, nicht bedeutender Schaden ist bei max. 1.300 € gegeben.¹

Bin ich strafbar, wenn ich von dem Unfall nichts mitbekommen habe?

Nein. Wer sich vom Unfallort entfernt, ohne mitbekommen zu haben, dass ein Unfall geschehen ist, handelt nicht vorsätzlich. Das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes ist in jedem Einzelfall sorgfältig und unter Einbeziehung der konkreten Umstände zu prüfen.

Welche Folgen hat das unerlaubte Entfernen vom Unfallort?

Der Täter wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Außerdem ist eine Bestrafung gemäß § 323c (Unterlassene Hilfeleistung) möglich, wenn der Flüchtende einer verletzten Person keine Erste Hilfe leistet, obwohl er dazu imstande war. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort kann mit drei Punkten in Flensburg, einem Fahrverbot oder sogar dem Fahrerlaubnisentzug geahndet werden.

Unser anwaltlicher Rat

Wenn Sie einer Unfallflucht beschuldigt werden, sollten Sie auf keinen Fall sofort eine Aussage machen. Das müssen Sie auch nicht. Als Beschuldigter im Strafverfahren haben Sie die Möglichkeit, die Aussage zu verweigern. Es ist sehr ratsam, schnellstmöglich einen Anwalt zu kontaktieren. Dieser kann Akteneinsicht beantragen und einschätzen, wie Sie sich am besten verhalten sollen. Dr. Miluscheva kann sich bereits im Ermittlungsverfahren für die Einstellung des Verfahrens einsetzen, damit die nachteiligen Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung vermieden werden.



¹ Fischer, StGB, §142 Rn. 64.