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Täteridentifizierung durch Fingerabdruck

Autor: Léo Portner*, wissenschaftlicher Mitarbeiter

Die Daktyloskopie – die Auswertung der Papillarlinienbilder zur Identifizierung von Personen – gehört seit etwa einhundert Jahren zu den kriminaltechnischen Ermittlungsmethoden. Diese Wissenschaft beginnt mit einer Beobachtung: die Papillarleisten der Finger und anderer Teile des menschlichen Körpers sind individuell, nicht vererbbar und relativ unveränderlich. Die Idee besteht also darin, den Täter als Spurenverursacher anhand des an einem Tatort gefundenen Fingerabdrucks zu identifizieren. Zu diesem Zweck suchen die Gutachter verschiedene Merkmale – einschließlich so genannten Minutien – auf der Hand-, Fuß- oder Fingerabdruck. Die allgemeine Form des Abdrucks sowie die Form, Größe und Ausrichtung seiner Graten (Papillarlilien) werden beobachtet und mit den Eigenschaften anderer Abdrücke verglichen, um Ähnlichkeiten festzustellen. Ein Gutachter kann aus jedem Vergleich eines bekannten und eines unbekannten Satzes von Abdrücken drei mögliche Schlüsse ziehen: Individualisierung (Übereinstimmung), Unschlüssig oder Ausschluss. Nach der Rechtsprechung gilt in Deutschland den Identitätsnachweis in einem Strafverfahren als geführt, wenn bei einer Nichterkennung des Grundmusters 12 Minutien oder bei Erkennbarkeit des Grundmusters 8 Minutien übereinstimmen.

Die deutsche Polizei bedient sich seit 1993 zur Untersuchung von Fingerabdrücke des Informatiksystems AFIS (Automatisiertes Fingerabdruck-Identifizierungs-System). Nach der Digitalisierung der Tatortspuren oder Fingerabdruckblätter, kann das AFIS Minutien automatisch erkennen und einen Vergleich mit Spuren in der Datenbank durchführen. Am Ende der Recherche wird das Ergebnis in Form einer Hitliste angezeigt, geordnet nach Trefferwahrscheinlichkeit. Ein Daktyloskopie-Gutachter verifiziert anschließend die digitalisierten Bilder und bestätigt die Identifizierung.

Zusätzlich zu den ca. 3,2 Millionen Personen, die schon in den nationalen Datenbanken registriert sind können das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter auf mehrere internationale Datenbanken zugreifen. Das Schengen Visumsystem (VIS) und die Fingerabdruckdatenbank EURODAC sowie das Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II) sind bereits mit AFIS ausgestattet. In den letzteren werden Fingerabdrücke bzgl. Personenausschreibungen aufgrund europäischer Haftbefehle und Visumantragsteller sowie Asylbewerber und illegale Einwanderer des Dubliner Raums gespeichert. Interpol und Europol verfügen über eigene Datenbanken. Die Europäische Kommission hat kürzlich vorgeschlagen, die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten durch die Einführung eines zentralisierten Systems zu verstärken (ECRIS-TCN), das ein universelles Register der Verurteilungen und der damit verbundenen Fingerabdrücke enthalten würde.

Daktyloskopie ist eine relativ sichere Methode. Wenn die Spur von guter Qualität ist, ist die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Zusammentreffens relativ gering. Es bestehen jedoch folgende Bedenken gegen die Verwertung von Fingerabdrücken als absolute Beweismittel, insbesondere:

  • Qualität des Abdrucks: Oft ist am Tatort ein Fingerabdruck verwischt oder nur unvollständig. Je kleiner oder verzerrter der Abdruck ist, desto größer ist das Risiko einer zufälligen Übereinstimmung.

  • Kontextuelle Verzerrungen: die gesamte Bewertung ist ausschließlich der Wertschätzung des Gutachters überlassen. Beispielsweise, wenn die Information zweideutig ist oder mehrere Deutungsmöglichkeiten bestehen, neigt der Experte dazu, seine subjektive Schlussfolgerung anstatt der ganzen Bandbreite der möglichen Erklärungen zu präsentieren.

  • Kritiker weisen darauf hin, dass es Menschen gibt, die sehr ähnliche Papillarmuster aufweisen, so dass schon kleinste Unsauberkeit eines Abdrucks Unterschiede verwischen kann.

  • Der Schwellenwert, der von Experten zur Bewertung der Fingerabdrücke und zum Abschluss einer Identifizierung verwendet wird, ist subjektiv und variiert von Land zu Land. In Spanien sind bei Erkennbarkeit des Grundmusters nicht acht, sondern zehn Minutien notwendig – in der Schweiz und Großbritannien 12, in Italien sogar 16 Minutien. Darüber hinaus ist der Schwellenwert ausschließlich auf Minutien basiert und nicht auf die ganze Bandbreite der Hautmerkmale.

Gerichtsfehler im Zusammenhang mit der Fehlinterpretation von Fingerabdrücken existieren. Am bekanntesten ist der Fall Brandon Mayfield, benannt nach dem amerikanischen Rechtsanwalt, der in dem Sturmlauf von Madrid im Jahr 2004 angeklagt wurde. Der Mayfield-Fall zeigt, dass Teile eines Fingerabdruckes sich so sehr ähneln können, dass zwei Menschen denselben Fingerabdruck zugeordnet werden kann. Die spanische Polizei fand Fingerabdrücke von geringer Qualität auf einer Tasche mit den Zündern, die mit den Anschlägen in Verbindung stand. Die Datenbank des FBI filterte 20 Fingerabdrücke heraus, die in einigen einzigartigen Merkmalen mit dem Abdruck aus Madrid übereinstimmen. Von den 20 ähnlichen Fingerabdrücken gab es tatsächlich einen, der sogar in 15 Punkten mit dem aus Madrid übereinstimmt. Er stammt von Brandon Mayfield, ein Rechtsanwalt und früherer Leutnant der Armee. Infolge der Übereinstimmung wurde Mayfield wegen Terrorismusverdachts inhaftiert. Nach 15 Tagen hatte die spanische Forensik festgestellt, dass der Fingerabdruck nicht dem Mayfield, sondern einem algerischen Staatsbürger zuzuordnen ist. Nach einer offiziellen Entschuldigung des FBIs erhielt Mayfield fast zwei Mio. Dollar von den USA als Entschädigung für den Fehler und die erniedrigenden Haftbedingungen, denen er ausgesetzt war.

Nach Einschätzung des Kriminologen Simon A. Cole werden allein in den Vereinigten Staaten jedes Jahr um die 1.000 falschen Vergleiche vorgenommen; der Fall Mayfield ist daher kein Einzelfall. Der Fingerabdruck liefert keinen absoluten Beweis für die Täterschaft des Beschuldigten, weil sich selbst Experten irren können. Um Fehlurteile zu vermeiden, sollte die Anklage immer auf eine objektive Würdigung des Sachverhalts beruhen und nicht auf ein einziges Beweisstück.



*Léo Portner hat an der Universität Neuchâtel (Schweiz) Rechtswissenschaften und an der Universität Lausanne (Schweiz) Kriminalwissenschaften mit Schwerpunkt Kriminologie studiert.