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Menschenrechtsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof als letzte Möglichkeit

Autorin: Tanja Stehberger, Rechtsreferendarin (Anwaltsstation)



Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist es, als internationaler Gerichtshof die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu überwachen. Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährt ein völkerrechtlich verbindlicher Grundrechtsschutz, der von Jedermann einklagbar ist. Jede natürliche oder juristische Person, die behauptet, in ihren Rechten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt worden zu sein, kann eine Menschenrechtsbeschwerde beim EGMR einlegen. Wenn der innerstaatliche Instanzenzug bereits vollständig ausgeschöpft ist und keine weiteren Rechtsbehelfe mehr verbleiben, steht einem als letzte Möglichkeit nur noch der Weg nach Straßburg offen, um eine Entscheidung des Rechtsstreits zu seinen Gunsten zu erlangen. Dort hat der EGMR seinen Sitz. Wird auf die Menschenrechtsbeschwerde hin eine Verletzung der EMRK durch den EGMR festgestellt, ist das Urteil des EGMR für den verurteilten Staat bindend. Allerdings kann der Gerichtshof Sanktionen nur in Form von Entschädigungszahlungen gegen den handelnden Staat verhängen. Zwar sind die Erfolgschancen vor dem EGMR ähnlich gering, wie die vor dem BVerfG - im Jahr 2020 hatten beispielsweise von 39190 Anträgen lediglich 1901 Erfolg, die anderen 37289 blieben erfolglos. Jedoch geht der durch die EMRK vermittelte Schutz teilweise über den der Grundrechte hinaus, so dass sich eine Menschenrechtsbeschwerde in bestimmten Fällen lohnen kann.

Um eine Beschwerde erfolgreich beim EGMR einzureichen, müssen die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sein.

Rechtswegerschöpfung

Es ist nicht möglich, direkt eine Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR zu erheben. Eine Anrufung des EGMR ist vielmehr erst dann möglich, wenn der innerstaatliche Instanzenzug durchlaufen ist und keine Rechtsbehelfe mehr verbleiben. Dies bedeutet, dass zunächst einmal die Instanzen vor den Fachgerichten bis zum Bundesgerichtshof durchlaufen werden müssen. Daraufhin muss regelmäßig noch eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. Bleibt auch diese erfolglos, ist die Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR als letzte Möglichkeit eröffnet.

Frist

Des Weiteren ist für die Einlegung einer Menschenrechtsbeschwerde eine Frist zu beachten, innerhalb der alle nötigen Unterlagen an den EGMR gesandt werden müssen. Diese Frist beträgt sechs Monate, nachdem die letzte nationale Entscheidung ergangen ist und die Möglichkeit zur Kenntnisnahme dieser Entscheidung bestand.

Schriftform

Die Beschwerde muss mit einem ganz bestimmten Formular erhoben werden, welches auf der Internetseite des Gerichtshofs in allen zugelassenen Sprachen erhältlich ist. Dieses Formular muss ausgefüllt und per Post beim EGMR eingereicht werden. Auch muss die Beschwerde von dem Beschwerdeführer oder dem Bevollmächtigten unterschrieben sein. Dabei können Beschwerden in allen Amtssprachen des Europarats eingereicht werden, somit auch in deutscher Sprache. Das Verfahren wird dagegen in Französisch oder Englisch geführt.



Inhalt der Beschwerde

Zuletzt ist ein bestimmter Mindestinhalt der Beschwerde zu wahren. Als tauglicher Beschwerdegegenstand kommt nur hoheitliches staatliches Handeln in Frage. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, durch dieses staatliche Handeln selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem in der EMRK verankerten Recht verletzt zu sein. In der EMRK sind folgende Menschenrechte verankert:


  • Artikel 1 – Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte
  • Artikel 2 – Recht auf Leben
  • Artikel 3 – Verbot der Folter
  • Artikel 4 – Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
  • Artikel 5 – Recht auf Freiheit und Sicherheit
  • Artikel 6 – Recht auf ein faires Verfahren
  • Artikel 7 – Keine Strafe ohne Gesetz
  • Artikel 8 – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
  • Artikel 9 – Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
  • Artikel 10 – Freiheit der Meinungsäußerung
  • Artikel 11 – Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
  • Artikel 12 – Recht auf Eheschließung
  • Artikel 13 – Recht auf wirksame Beschwerde
  • Artikel 14 – Diskriminierungsverbot


Als bekannter Fall einer erfolgreichen Menschenrechtsbeschwerde lässt sich beispielsweise der „Fall Jalloh“ aufführen. 1993 hatte die Polizei Abu Baka Jalloh ein Brechmittel verabreicht, um ihn zu zwingen, eine kleine Tüte Kokain, die er während seiner Festnahme geschluckt hatte, zu erbrechen. Später wurde Jalloh wegen Drogenhandels verurteilt. Auf seine Menschenrechtsbeschwerde hin hat der EGMR entschieden, dass die deutschen Behörden die körperliche und geistige Unversehrtheit Jallohs ernsthaft beeinträchtigt hatten (Verstoß gegen Art. 3 EMRK), indem sie ihn gegen seinen Willen zum Erbrechen gezwungen hatten, um Beweise zu sammeln, die auch mit weniger einschneidenden Methoden hätten erlangt werden können. Darüber hinaus hatte die Verwendung dieser Beweise generell zu einem unfairen Verfahren geführt (Verstoß gegen Art. 6 EMRK).

Des Weiteren muss man in der Beschwerde seine persönlichen Daten wie Name, Anschrift, Staatsangehörigkeit, Geschlecht etc. angeben. Darüber hinaus ist eine kurze Schilderung des Sachverhalts erforderlich, auf dem die Verletzung der EMRK beruht. Zudem muss angegeben werden, welches Recht der EMRK im konkreten Fall verletzt wurde und wie sich diese Verletzung mit dem angegebenen Sachverhalt begründen lässt. Darüber hinaus müssen der Beschwerde noch alle weiteren erforderlichen Dokumente beigefügt werden. Dazu gehören unter anderem die Vollmacht und alle bisher ergangenen Urteile, da diese nicht nachgereicht werden können. Dabei ist zu beachten, dass es dem EGMR durch diese Angaben und beigefügten Unterlagen möglich sein muss, Art und Umfang der Menschenrechtsbeschwerde zu bestimmen, ohne auf weitere Unterlagen zurückzugreifen. Ansonsten ist es möglich, dass die Beschwerde vom Gerichtshof nicht geprüft wird.

Kein Anwaltszwang

Auch wenn es ratsam ist einen Rechtsanwalt zu engagieren, um eine Menschenrechtsbeschwerde einzureichen, ist es nicht unbedingt nötig. Spätestens für den Fall, dass die Beschwerde angenommen wird, ist es jedoch zwingend erforderlich, dass sich der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten lässt. Allerdings empfiehlt es sich in einer Vielzahl von Fällen bereits für die Beschwerdeeinlegung einen Anwalt zu kontaktieren, da eine juristische Beratung aufgrund der Komplexität der Materie meist unentbehrlich ist. Wir beraten Sie gerne in einem solchen Fall.